Prof. Dr. Wolfgang Blättchen und Uwe Nespethal, Blättchen Financial Advisory

Der Gang an den öffentlichen Kapitalmarkt bedeutet für Emittenten, sich gegenüber einer breiten, anonymen Anlegerschaft und Multiplikatoren (Presse, Analysten) zu öffnen. Für diesen Schritt an die Öffentlichkeit hat sich der Begriff „Going Public“ etabliert, der bis vor wenigen Jahren noch gleichbedeutend für das IPO (Initial Public Offering) bzw. für den Gang an die Börse im Rahmen einer Eigenkapitalmaßnahme verwendet wurde. Mit der Gründung und Etablierung der börsenbetriebenen Mittelstandsanleihesegmente ab dem Jahr 2010 hat das „Going Public“ durch das Kürzel „IBO“ eine Erweiterung erfahren. IBO (Initial Bond Offering) steht für die erstmalige öffentliche Anleiheplatzierung eines Emittenten, was bisher bei Anleihen völlig unüblich war. Obwohl die Publizitätsanforderungen der wichtigsten Börsensegmente sowohl beim IPO als auch beim IBO im Primärmarkt ähnlich sind, gibt es zwischen öffentlichem Eigen- und Fremdkapital erhebliche Unterschiede.

Eigenkapital

Ein Going Public im Eigenkapitalbereich bedeutet für das Unternehmen, künftig grundsätzlich über eine unbegrenzte Zeit in der Öffentlichkeit zu stehen. Nur eine spätere Liquidation der Gesellschaft oder ein Delisting von der Börse beendet das Being Public. Der erstmalige Schritt an den öffentlichen Eigenkapitalmarkt hat sich im letzten Jahrzehnt insbesondere in Deutschland aufgrund der aufgetretenen Krisen (Dot.com-, Finanzmarkt-, Eurokrise) und damit einhergehenden volatilen Aktienmärkten erschwert. Die Zeitfenster haben sich deutlich verkürzt und die Investoren sind merklich zurückhaltender gegenüber Neuemissionen geworden. Hinzu kommt, dass sich Privatanleger kaum noch unter den Erstzeichnern finden und nur noch wenige institutionelle Investoren den Markt dominieren. Die klassische Form der Börseneinführung, bei der nach der Prospektbilligung eine bis zu zweiwöchige öffentliche Zeichnungsfrist stattfindet, hat es unter diesen Rahmenbedingungen schwer.

Um das Marktrisiko während der öffentlichen Zeichnungsphase zu entschärfen, haben sich in der Praxis Emissionstechniken wie das „IPO light“ etabliert, die die Platzierung mehr zu einer Privatveranstaltung werden lassen. Beim IPO light erfolgt zunächst die Aktienemission durch eine Privatplatzierung an ausgewählte Investoren. Anschließend werden die Aktien in den öffentlichen Handel einer Börse mit paralleler Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts einbezogen. Nach dem Listing können weitere Kapitalmaßnahmen über die Börse vorbereitet werden. Diesen „Weg über die Hintertür“ ging nun auch Evonik, nachdem im letzten Jahr das klassische IPO wiederholt scheiterte.

Eine Notierungsaufnahme im Freiverkehr ohne die Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts wurde im letzten Jahr durch die Deutsche Börse AG zu Recht unterbunden. Bis dahin konnte häufig beobachtet werden, dass nicht operativ tätige, oftmals im Ausland ansässige Unternehmen im bis dato noch existierenden First Quotation Board der DBAG notierten, ohne einen gebilligten Wertpapierprospekt zu veröffentlichen. Gab es im Jahre 2011 noch über 190 Erstlistings an der DBAG, so reduzierte sich diese Anzahl im letzten Jahr auf nur noch sieben. Zwar können Notierungsaufnahmen im Freiverkehr ohne Wertpapierprospekt an den sonstigen Regionalbörsen erfolgen, jedoch ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Lücke geschlossen wird. Eine aufwendigere Form des Going Public ist die mehrheitliche Übernahme eines börsennotierten Vehikels durch Sacheinlage bzw. Verschmelzung durch ein nicht börsennotiertes Unternehmen, das so zur Public Company wird. Dieses sog. „Cold IPO“ ist aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Komplexität sehr aufwendig und daher in der Praxis auch selten zu finden (z.B. Carl Zeiss Meditec AG). Eine andere ebenfalls komplexe Form ist die der Abspaltung, wie sie aktuell von Osram durchgeführt wird.

Fremdkapital

Das Going Public im Fremdkapitalbereich in Form einer öffentlichen Anleiheplatzierung steckt im Vergleich zur Eigenkapitalemission noch in den Kinderschuhen. In diesem Markt gilt es grundsätzlich zwischen der institutionellen Anleihe und der sog. Mittelstandsanleihe zu unterscheiden. Der institutionelle Markt hat einen historisch gewachsenen „Closed-Shop“-Charakter, in dem die öffentlichen Börsen nur schwer eine bedeutende Rolle im Primär- und Sekundärmarktgeschäft einnehmen können. Die Gründung des Prime Standard für Unternehmensanleihen der DBAG ist ein erster Versuch, dieses Segment für eine breitere Investorengruppe zu öffnen.

Bei der Anleiheplatzierung haben sich zwei Emissionstechniken in der Praxis etabliert: Zum einen existiert die „eigenführte Emission“, bei der der Emittent allein die Platzierung steuert. Zum anderen ist die „fremdgeführte Emission“ zu finden, bei der eine Bank oder ein mandatiertes Bankenkonsortium die Platzierung verantwortet. In allen Fällen ist der Emittent noch alleiniger Prospektunterzeichner. Inwieweit künftig die emissionsbegleitenden Banken in einer fremdgeführten Emission ebenfalls als Prospektunterzeichner mit einbezogen werden, hängt von der Verhandlungsstärke der Emittenten ab. Bei Aktienemissionen im Entry Standard ist die Prospektmitunterzeichnung der Bank üblich.

Da Transparenz für den langfristen Erfolg einer Börsennotierung entscheidend ist, sollte die noch bestehende Möglichkeit einer erstmaligen Anleihenotierung im Freiverkehr ohne Wertpapierprospekt kritisch geprüft werden. Die DBAG war bei der Schließung des First Quotation Board für Aktien zu Recht konsequent. Wir empfehlen unbedingt, dieses Schlupfloch auch im Anleihenmarkt schnellstens zu schließen, um Missbrauchsfällen vorzubeugen.

Fazit

Das Going Public hat am heutigen Kapitalmarkt verschiedene Facetten erlangt. Einem Unternehmen stehen somit zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, um an den Kapitalmarkt zu gelangen. Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob Fremd- oder Eigenkapital notwendig ist. Im Fremdkapitalbereich ist das „Being Public“ i.d.R. auf das Laufzeitende der Anleihe begrenzt. Beim Eigenkapital besteht die Öffentlichkeitspräsenz theoretisch für einen unendlichen Zeitraum. Entscheidend ist, dass der Emittent die geforderten Publizitätsanforderungen, die er liefern muss, auch liefern kann. Dem Emittenten muss zudem der erhebliche Unterschied zwischen Fremd- und Eigenkapital bewusst sein, um nicht später eine böse Überraschung in der Fristigkeit der Finanzierung und der Solvenz zu erleben.

Dieser Artikel ist erschienen in der Sonderausgabe Kapitalmarktrecht 2013. Hier als E-Paper lesen.

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