„Man wird auch in Zukunft nicht auf klassische klinische Studien verzichten können”

5 Fragen an Dr. Michael Sigmund, CEO, SSS International Clinical Research

Bildnachweis: SSS.

Gegründet im Jahr 1993 bedient SSS mit rund 50 Mitarbeitern als Partner von Biotech-, Diagnostik- und Pharmaunternehmen den europäischen Markt als klinisches Auftragsinstitut (CRO). Dabei bietet SSS einen Service von der medizinischen und statistischen Planung, über die Genehmigung der Studien bei Behörden und Ethikkommissionen, die Betreuung der klinischen Studien in den Prüfzentren bis hin zur biometrischen Auswertung und der Erstellung von Studienberichten. Der Hauptsitz von SSS ist in Germering bei München, weitere Standorte befinden sich in Polen und Rumänien.

 

Plattform LifeSciences: Herr Dr. Sigmund, bitte stellen Sie uns das Unternehmen SSS International Clinical Research kurz vor. Wo liegt Ihre besondere Expertise?

Dr. Michael Sigmund: Seit über 25 Jahren ist SSS in der klinischen Forschung für Pharma-, Biotech- und Medical Device-Unternehmen tätig. Wir begleiten Studien von der Planung über die Durchführung bis hin zur Auswertung der Daten. Mit Niederlassungen in Deutschland, Polen und Rumänien sind wir in der Lage, auch große internationale Studien zu organisieren, an denen Kliniken in verschiedenen Ländern beteiligt sind. Unsere bislang größte Studie umfasste sechzehn Länder.

Als IT-getriebene Firma haben wir eine eigene Software entwickelt, die einen reibungslosen Studienablauf sichern soll. Unsere Expertise liegt hier also in der Prozessoptimierung. Das ist ein entscheidender Vorteil, wenn es darum geht, die entstehende Datenflut und die zahlreichen parallelen Abläufe einer Studie zu beherrschen. Damit können wir ― und unsere Kunden ― jederzeit den Überblick behalten.

Ihr Unternehmen ist Dienstleister im Bereich Forschung & Entwicklung. Warum können beispielsweise Wirkstoffentwickler diese Forschungsarbeiten oder klinische Studien nicht selbst durchführen?

Hier sollte man zunächst kleinere und mittelständische Biotechnologie- und Medizintechnik- Unternehmen von den großen Pharmakonzernen unterscheiden. Für kleinere Organisationen und Firmen ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht meist nicht sinnvoll, die notwendige spezifische Expertise zur Studiendurchführung im eigenen Hause vorzuhalten. Zu beachtende Regularien und zunehmende Datenmengen im Studienverlauf erschweren die Projektabwicklung für kleine Teams deutlich. Zudem müssen regelmäßig extrem hohe Arbeitsspitzen abgefangen werden. Beispielweise gleich zu Beginn einer Studie, wenn regulatorische Dokumente zusammengestellt und bei den zuständigen Behörden und Ethikkommissionen eingereicht werden müssen. Zeitgleich sollten Studienzentren ausgewählt und unter Vertrag genommen und zahlreiche weitere, vorbereitende Prozesse -abgewickelt werden. Das können kleine Teams dann nicht mehr stemmen und lagern deshalb die Services für klinische Studien aus.

Große Pharmaunternehmen agieren hier eher aus strategischen Gründen und möchten das notwendige Personal nicht permanent zur Verfügung stellen. Hinzu kommt, dass sich die regulatorischen Anforderungen stetig weiterentwickeln, damit wäre der Aufwand, die spezifischen Kompetenzen kontinuierlich vorzuhalten und auf den neusten Wissensstand zu bringen enorm hoch.

Ein weiteres Argument für das Outsourcing von Services an SSS ist unser über Jahrzehnte gewachsenes Netzwerk von Studienzentren und Forschungsgruppen, das uns ermöglicht, schnell, flexibel und zielorientiert zu agieren.

Würden Sie die Auslagerung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten als lukrativen Zukunftsmarkt bezeichnen?

Vor dem Hintergrund zunehmender Alterung der Gesellschaft, steigender Ausgaben im Gesundheitswesen und rasant wachsender Erkenntnisse in der Biomedizin, wird der Markt für klinische Studien und damit auch für die Auftragsforschung sicher weiterwachsen. Was die Branche zusätzlich nachhaltig beeinflussen wird, ist die zunehmende Digitalisierung. Schon jetzt beinhaltet knapp die Hälfte der bei uns platzierten Anfragen zu Studien einen digitalen Ansatz, beispielsweise über ePRO (electronic patient related outcome). Das heißt, die Patienten dokumentieren regelmäßig über eine Mobile App ihr aktuelles Befinden. Bei einzelnen Fragestellungen ist es denkbar, dass Studien mit mobilen Applikationen auch ohne klassische Studienzentren ablaufen können, was unter dem Stichwort „virtuelle Studien“ gerade diskutiert wird.

Dennoch wird man auch in Zukunft nicht auf die klassische klinische Studie verzichten können. Daran werden auch gegenwärtige Ansätze, etwa Gesundheitsdaten aus Patientenregistern auszuwerten, vorerst nichts ändern. Es wird immer notwendig sein, randomisierte kontrollierte Studien durchzuführen, in denen eine Kontrollgruppe statt dem zu untersuchenden Medikament eine herkömmliche Therapie bzw. ein Placebo erhält. Erst kürzlich hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine Einschätzung der Zukunft von Arzneimittelstudien veröffentlicht. Demnach wird die Bewertung des Nutzens eines Medikaments aus „versorgungsnahen Daten aus elektronischen Patientenakten oder Abrechnungsdaten von Krankenkassen derzeit und absehbar als nicht realistisch eingeschätzt.“

Ihr Unternehmen ist auch stark im Ausland tätig, vor allem in Osteuropa. Wo liegen konkrete Vorteile, klinische Studien etwa in Rumänien oder Polen durchführen zu lassen?

Polen und insbesondere Rumänien bieten den Vorteil sehr zentralisierter Gesundheitssysteme. Beispielsweise wird ein Patient mit Tinnitus in Deutschland von einem Allgemeinmediziner oder einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt behandelt. In Rumänien erfolgt die Behandlung in spezialisierten Kliniken. Das macht die Patientenrekrutierung natürlich sehr viel einfacher und kostengünstiger, weil ein von uns betreutes Zentrum dadurch viel mehr Patienten beisteuern kann.

Ein weiterer Vorteil: In beiden Ländern findet man eher behandlungs-naive Patienten, deren Krankheit also noch nie behandelt wurde. Manche Studiendesigns erfordern solche Patienten, um die Wirkung eines Medikaments besser beurteilen zu können.

Umgekehrt gefragt: Was muss getan werden, um mehr klinische Studien in diesen Ländern durchführen zu können?

Sicher gibt es auch Studien, für die osteuropäische Länder nicht geeignet sind. Das können Studien sein, für die die regulatorischen Behörden vor Ort sehr hohe Hürden setzen. Hier sehen wir in einigen Fällen noch Nachholbedarf. Auch die Ausstattung mit Geräten oder der Zugang zu modernen Diagnoseverfahren in nicht ganz so hoch entwickelten Gesundheitssystemen kann ein Problem darstellen. Wir haben aber durchaus gute Erfahrungen mit der Qualität der dort geleisteten Arbeit.

Auch in Ländern wie China oder Indien werden zunehmend klinische Forschungen durchgeführt. Zum einen wegen hoher Kostenersparnisse, zum anderen wegen des riesigen Patientenpools. Allerdings gibt es hier wesentlich größere Schwierigkeiten mit der Compliance zu international gültigen Qualitätsstandards, weshalb die erhobenen Daten nicht immer von der Amerikanischen oder der Europäischen Zulassungsbehörde anerkannt werden. Bei Daten aus osteuropäischen Ländern, speziell EU-Mitgliedsstaaten, ist dies wesentlich einfacher.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.