Der Investor Relations kommt durch die digitale Vernetzung zunehmend eine eigenständige betriebswirtschaftliche Funktion an der zentralen Kommunikationsschnittstelle von Eigentümern, Management und den restlichen Stakeholdern des Unternehmens zu. Damit entsteht auch dann ein eigener betriebswirtschaftlicher Wertbeitrag zur guten Unternehmensführung, selbst wenn IR-Manager keine unmittelbare operative Verantwortung übernehmen.

Vom KPI-Reporting zum Wertschöpfungs-Dialog
Eine retrospektive Konzentration nur auf die Zielerreichung mehr oder weniger für den künftigen Unternehmenserfolg relevanter Leistungsindikatoren weist neben den grundlegenden, immanenten Definitionsschwächen gerade im Zeitalter der globalen digitalen Revolution der Wirtschaft ein großes Risikopotential für Investoren auf.
Dieser Problematik trägt die Weiterentwicklung der Regelwerke zur externen Finanzberichterstattung Rechnung – etwa mit dem integrativen Ansatz der Chancen- und Risikoberichterstattung des DRS 20 oder das Wertschöpfungskonzept des Integrated Reporting. Ein Blick in die aktuellen Lageberichte offenbart schnell die Anwendungsbereitschaft der jeweils verantwortlichen Manager.

Dr.rer. pol. Kai Holtmann
Dr.rer. pol. Kai Holtmann

Social Media als Game Changer für Investor Relations
In Zeiten grenzenloser Social-Web-Nutzung lässt sich Investor Relations längst nicht mehr auf eine reine Informationsfunktion eindimensionaler Botschaften des Vorstands an den Kapitalmarkt begrenzen. Die IR-Manager stehen u.a. in einem ständigen Dialog mit global agierenden Buyside-Analysten und Portfoliomanagern und müssen sich in diesem Zusammenhang auch laufend mit den Investment Cases der eigenen Wettbewerber um Kapital auseinandersetzen. Die zunehmende globale ökonomische Vernetzung führt zwangsläufig auch zur Auseinandersetzung mit solchen spezifischen Fragen, die ggf. (noch) nicht auf dem eigenen Absatzmarkt relevant sein mögen, aber für die weitere Entwicklung des eigenen Unternehmens große Bedeutung haben können.

Hier wird das große ökonomische Wertpotential der digitalen Vernetzung von IR-Managern für die moderne Unternehmensführung sichtbar. Professionell agierende Vorstandsmitglieder mit echter Kapitalmarktorientierung nutzen dieses Potential proaktiv bei der Entwicklung ihrer eigenen Sourcing-Strategien im Rahmen der digitalen Transformation ihrer Geschäftsmodelle. Die ökonomischen Transaktionskosten der Informationsbeschaffung für effektive und effiziente Managemententscheidungen können so massiv gesenkt werden. Gleichzeitig werden automatisch veraltete Führungs- und Karrierekonzepte im nachgelagerten Management nicht mehr unterstützt, die auf der Sicherung von privilegiertem Hoheitswissen beruhen.

Leitbild des ehrbaren Kaufmanns und Moral-Hazard-Gefahr
Grundlegende Voraussetzung hierfür ist allerdings die Fähigkeit und Bereitschaft der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat zur viel beschworenen guten Unternehmensführung. Hier kommt dem traditionellen Manager-Bild des „ehrbaren Kaufmanns“ wieder mehr Bedeutung zu. Dieses ursprünglich hanseatische Unternehmer-Konzept ist auch in der modernen Unternehmensführung auf vielfältige Weise institutionalisiert, u.a. durch die Business Judgement Rule und diverse Excellence-Ansätze, z.B. der Nachhaltigkeit oder des Performance Management.
Kommt es auf der Top-Management-Ebene jedoch zu Moral-Hazard-Problemen, werden IR-Manager regelmäßig mit einer Glaubwürdigkeits-Lücke („Credibility Gap“) konfrontiert. Das gilt insbesondere, wenn in der IR-Kommunikation Risiken aus disruptiven technologischen Veränderungen, in denen sich ganze Wertschöpfungsketten verschieben, aus umwälzenden Veränderungen im Wettbewerber- und/oder Konsumentenverhalten oder ganze Mega-Trends ignoriert oder verharmlost werden sollen. Für IR-Manager ist es in solchen Fällen wichtig, den Wert ihrer in der Kommunikation eingesetzten persönlichen Reputation („Reputation Hostage“) nicht durch die Übernahme von opportunistischem Fehlverhalten selbst zu zerstören.

Fazit
Das Ausmaß der intern zugelassenen Wertbeiträge von Investor Relations zur guten Unternehmensführung wird auch im Zeitalter der digitalen Revolution letztlich immer das Resultat individueller institutioneller Regelungen im Unternehmen sein. Unabhängig davon tragen die IR-Manager durch ihre Social Media Engagements im Rahmen ihrer globalen digitalen Vernetzung mit unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen immer auch langfristig zur Effizienz der Kapitalmärkte bei. Falls unternehmenseigene Corporate-Governance-Systeme bei Moral-Hazard-Problemen auf Top-Management-Ebene versagen, werden intern nicht zugelassene IR-Engagements früher oder später von aktivistischen Aktionären (bestenfalls) im Unternehmensinteresse übernommen.

* Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

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Der Beitrag erschien zuerst im GoingPublic Magazin Special Kapitalmarktrecht 2015.

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