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Nach zwei Jahren pandemiebedingt hauptsächlich virtuell abgehaltener Hauptversammlungen der österreichischen börsennotierten Aktiengesellschaften gingen die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür in die zweite Verlängerung. Das verschafft allen Stakeholdern zwar weiter Rechts- und Planungssicherheit, aber die Frage bleibt: Wie soll es mit der Hauptversammlung weitergehen, wenn die Pandemie hoffentlich überwunden ist?

Nationalratsabgeordnete der türkis/schwarzen und grünen Koalitionsparteien brachten im Herbst 2021 einen gemeinsamen Initiativantrag zur Verlängerung des „Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Gesetzes“ bis Ende Juni 2022 ein. Dies wurde – mit einem ergänzenden Abänderungsantrag – dann auch im Dezember 2021 im Justizausschuss des Österreichischen Nationalrates beschlossen. Es folgte die Zustimmung im Plenum des Nationalrates und des Bundesrates. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags durfte man davon ausgehen, dass auch die „Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Verordnung“, die auf dem Gesetz basiert, vom Justizministerium zeitnah danach erlassen wird, denn sie war parallel zur Gesetzesverlängerung bereits in Vorbereitung. So war es auch zum Jahresende 2020 anlässlich der ersten Verlängerung des Gesetzes.

Breite Meinungspalette

Das heißt für die Praxis: Im ersten Halbjahr 2022 gilt für börsennotierte AGs in Österreich das Motto „Same procedure as the last two years“: virtuelle HVs unter denselben Rahmenbedingungen erlaubt. So weit die „Pflicht“ – aber was ist mit der „Kür“? Es bleibt die Frage, wie es post-pandemisch weitergehen soll. Da ist das Meinungsspektrum breit: Namhafte Stimmen sind für die Rückkehr zur traditionellen Präsenz-HV; andere argumentieren, die dreijährigen (inkl. 2022er-HVs) virtuellen Erfahrungen auch in weiterer Zukunft zu nützen. So lässt sich auch der hybriden HV einiges abgewinnen. Wobei die Digital- und Hybridbefürworter damit argumentieren, dass man damit auch vielen Privataktionären (viele „Kleinaktionäre“ sind mit ihrer Aktienzahl gar nicht so klein), die nicht an Präsenz-HVs teilnehmen können, die Möglichkeit gibt, ihre Aktionärsrechte wahrzunehmen. Hybridskeptiker argumentieren hingegen mit dem Mehr(fach)-aufwand für die Gesellschaften.

Ideen für die Zukunft

Wohin könnte es also gehen? Will man auch in weiterer Zukunft virtuelle oder hybride HVs ermöglichen, müsste man wohl das „Dauerrecht“ dazu, also das Österreichische Aktiengesetz, dafür fit machen. Man hat aus der Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Verordnung viel gelernt und könnte die Learnings daraus in das Aktiengesetz hinein novellieren. Zwei Ansatzpunkte sind dabei von Praktikern zu vernehmen:

1. Die vier „besonderen Stimmrechtsvertreter“ haben sich in der Praxis bewährt und könnten ins Dauerrecht übernommen werden, wobei je nach Aktionärszahl der AGs und auf Basis der praktischen Erfahrungen der vergangenen Jahre mit diesen Repräsentanten des Aktionärsplenums die bisher vorgeschriebene Mindestzahl von vier nominierten besonderen Stimmrechtsvertretern flexibler gehandhabt werden könnte. Das heißt: In der Praxis hätten oft weniger als vier ausgereicht. Skeptiker des Wunsches nach Übernahme der besonderen Stimmrechtsvertreter ins Dauerrecht kontern mit der gültigen EU-Aktionärsrechterichtlinie II. Jeder Aktionär habe das Recht, wenn er nicht an der HV teilnehmen kann, selbst seine Vertretung zu bestimmen. Das könne also auch jemand anderer als die von der AG vorgeschlagenen besonderen Stimmrechtsvertreter sein.

Die Sonderregelung, dass die Gesellschaft die Stimmrechtsvertreter aussucht, funktionierte als „Krisen-Ausnahmeinstrument“ für Pandemie-HVs zwar gut, aber im Dauerrecht wäre das nicht möglich, so die juristischen Ablehner. Wenn z.B. mehrere Aktionäre für ein gemeinsames Antrags- und Abstimmungsverhalten etwa einen „Vertrauensanwalt“ als ihren Aktionärsvertreter – neben den angebotenen Stimmrechtsvertretern – nominieren wollen, müsse das erlaubt sein.

2. Ansatzpunkt im Aktiengesetz: dort die Schwelle für das Organisieren der Fernteilnahme von Aktionären senken. Im aktuellen AktG wird von den Gesellschaften eine Zweiwegverbindung (hören und sprechen sowie sehen und gesehen werden) für ihre Aktionäre verlangt. Das sei Praktikern zufolge sehr aufwendig und anfällig. Daher rührt die Idee, die akustische und optische Einwegverbindung in Echtzeit (also von extern live zuhören und zusehen), die in der COVID-19-Verordnung erlaubt ist, zum Mindeststandard zu nehmen und Zweiwegverbindung als Option, wie man die Vorgabe der COVID-19-Verordnung, dass „der einzelne Aktionär aber auf andere Weise in die Lage versetzt wird, während der Versammlung Wortmeldungen abzugeben und an Abstimmungen teilzunehmen“, erfüllen kann. (Das passierte schließlich 2020 und 2021 de facto per E-Mail oder mittels spezieller Abstimmungssoftware.)

Zweiwegverbindung als Option bräuchte wohl eine praktische gesetzliche Regelung: Aktionäre, die während der HV optisch und akustisch von außen teilnehmen wollen, müssten dies (und idealerweise ihre Wortmeldungen, Fragen und Anträge) zeitgerecht vor der HV der Gesellschaft bekannt geben, damit diese die Reihung organisieren kann, und je nach Anzahl der so Angemeldeten können die HV-Vorsitzenden Zeitfenster für die Redezeit dieser Interessierten verteilen. Diese könnten den Angemeldeten schon vor der HV bekannt gegeben werden, damit sie wissen, wann sie ungefähr drankommen. Dieses Procedere würde die zeitliche Planbarkeit erleichtern und einen geordneten HV-Ablauf ermöglichen.

Fazit

1. Für jene Marktteilnehmer, die nicht mehr zur reinen Präsenz-HV zurückwollen, wird man wohl „andere Regeln erfinden“ müssen, meinen Rechtspraktiker. Man könne die virtuelle Welt nicht mit der realen eins zu eins gleichsetzen. Ein Neudenken sei gefragt. Außer Streit sollte dabei aber wohl stehen, dass die traditionellen Aktionärsrechte nicht beschnitten werden dürfen.

2. Eine Modernisierung des Dauerrechts im Österreichischen Aktiengesetz braucht angesichts des erwähnten Spektrums an unterschiedlichen Meinungen wohl seine Zeit. Daher besteht der vielfache Wunsch und auch die Bereitschaft „draußen“, den Prozess rasch anzugehen. Das heißt, die verschiedenen Stakeholder in die Vorschlagssammlung einzubinden – was bereits passiert. Es gibt Arbeitsgruppen in Österreich (und auch auf Einladung der Europäischen Kommission), in welchen sich Stakeholder austauschen und von ihren Erfahrungen berichten. Und je früher ein Novellierungsentwurf vorliegt, desto länger wäre in der Begutachtungsfrist Zeit für Optimierung. Man könnte sich ja vornehmen, beim Auslaufen der jetzigen prolongierten COVID-19-Sonderregeln eine Novelle parlamentsreif zu haben. Dann wäre noch Zeit bis Anfang Juli 2022.

3. Hybride HVs, also mit Fernteilnahme und Fernabstimmung, sind grundsätzlich schon seit dem Aktienrechtsänderungsgesetz (ARÄG) 2009 möglich. Eine Motivation war bereits damals, die HV-Präsenzen zu erhöhen; dass also mehr Aktionäre teilnehmen und ihre Rechte wahrnehmen. Realistisch vorstellbar ist, dass eine modernere hybride HV, also mit starker digital-virtueller Nutzung, eine Gestaltungsoption für Gesellschaften wird. Das sollte wie schon jetzt eine Frage der Satzungsgestaltung, die einer HV-Abstimmung unterliegt, sein. Gesellschaften mit zeitgemäßen hybriden HVs müssten ein technisches System finden, das Hunderte (Tausende) physisch Anwesende plus Hunderte (Tausende) virtuelle Teilnehmer technisch und rechtlich sicher orchestriert und ihre Individualrechte als Aktionäre nicht beschneidet. Da lautet wohl die Frage: Was bin ich zu investieren bereit? Satzungsänderungen für eine neue Art der HV könnten befristet beschlossen werden, um nach z.B. drei Jahren Erfahrungsbilanz zu ziehen.

Autor/Autorin

Manfred Kainz