Wie fast überall ist es auch in der Unternehmenskommunikation wichtig, Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Die Verantwortlichen sollten deshalb den Online-Handel im Auge behalten. Im Mittelpunkt des E-Commerce steht vor allem die kundenorientierte Ansprache – und davon können auch die Corporate Communications profitieren. Von Michael Zinkl

Michael Zinkl_EQSEine kleine, erlesene Modeboutique, irgendwo in Deutschland: Beim Eintreten wird man an der Tür mit Handschlag begrüßt. Die Verkäufer kennen in der Regel nicht nur die Namen, sondern auch die Konfektionsgrößen, die bevorzugten Farben oder im Idealfall auch die Problemzonen der Stammkunden, die es mit den edlen Stoffen zu kaschieren gilt. Das ermöglicht eine individuelle Beratung in einer vertrauten Atmosphäre, bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Prosecco. Die Folgen: Die Kunden fühlen sich wohl, kaufen unter Umständen mehr als ursprünglich geplant und akzeptieren dabei in der Regel auch, für diesen Service den ein oder anderen Euro mehr auf die Ladentheke legen zu müssen. Und das Allerwichtigste: Sie sind zufrieden und kommen wieder.

Warum ich das erzähle? Es zahlt sich im wahrsten Sinne des Wortes aus, auf seine Zielgruppe und deren Vorlieben und Bedürfnisse einzugehen. E-Commerce hat hier sehr viel vom stationären Handel gelernt und bildet dieses individuelle Einkaufserlebnis soweit wie möglich digital ab.

Die Internetauftritte der Online-Shops sind interaktiv und hoch personalisiert, denn die Bereitstellung von hochwertigem Content und das Unterbreiten individueller Angebote setzen voraus, dass die Betreiber ihre Kunden verstehen.

Vielschichtige Interessen erfordern individuelle Angebote

Bestes Beispiel: Amazon. Der US-amerikanische Online-Versandhändler unterbreitet jedem Besucher bereits auf der Startseite die ersten Angebote. Nutzern, die beim letzten Besuch in den Buch-Shops die neuesten Bestseller gesucht haben, werden beim erneuten Aufruf der Webseite die aktuellen Bücher und Neuerscheinungen aus dem gewünschten Genre angezeigt. Wer sich zuletzt für Haushaltsgeräte interessiert hat, erhält gleich Bestelloptionen für Kühlschränke, Herde und Mikrowellen. Die Rezensionen und Bewertungen anderer Käufer helfen zudem, sich einen ersten Eindruck über die Qualität der Produkte zu verschaffen.

Was bedeutet das für die Online-Kommunikation von Unternehmen? Es ist an der Zeit, sich von unpersönlichen und statischen Corporate Websites zu verabschieden. Ebenso wie Kunden von Online-Shops viele unterschiedliche Produktwünsche haben, sind die Bedürfnisse der Stakeholder eines Unternehmens vielschichtig.

Aktionäre und Investoren sind an Finanzkennzahlen, der Entwicklung des Aktienkurses und der Meinung von Finanzmarktexperten interessiert; an den neuesten Marketingaktivitäten oder Produktentwicklungen dagegen meistens nur am Rande. Ähnliches gilt beispielsweise für Absolventen: Sie wollen sich zwar in der Regel auch einen Überblick über das Unternehmen verschaffen. In erster Linie möchten sie aber wissen, ob das online angesteuerte Unternehmen XYZ AG passende Stellenausschreibungen für sie bereithält. Auch Kunden und Geschäftspartner haben individuelle Bedürfnisse, die sich anhand ihrer Customer Journey auf der Webseite nachverfolgen lassen.

Themen gezielt platzieren

 Individuelle Ansprache der Stakeholder auf der Unternehmenswebsite: Bewerber werden mit den neuesten Informationen aus dem Bereich Human Resources empfangen
Individuelle Ansprache der Stakeholder auf der Unternehmenswebsite: Bewerber werden mit den neuesten Informationen aus dem Bereich Human Resources empfangen. Quelle: EQS

Wichtig ist, diese unterschiedlichen Gruppen passgenau anzusprechen. Dafür braucht ein Unternehmen möglichst viele Informationen über die Besucher seiner Website. Diese können zu einem geringen Teil aus den internen Datenbanken und CRM-Systemen gezogen werden.

Der Online-Handel ist hier schon mindestens einen Schritt voraus. Im E-Commerce werden Web-Analyse-Systeme eingesetzt, um Daten über die Website-User zu gewinnen. Diese können auf vielfältige Weise genutzt werden: Einerseits liefern sie Erkenntnisse über die Performance der Website, also die Zahl der Besucher und Page Impressions (Pis), oder aber auch über das Nutzerverhalten im Zeitverlauf.

Andererseits ermöglichen sie es, Userprofile zu erstellen, auf deren Grundlage die Website personalisiert werden kann. Und so läuft der Prozess ab: Ein Besucher kommt zum ersten Mal auf die Homepage eines Unternehmens. Da über ihn noch keine Informationen vorliegen, ist die Startseite recht allgemein gehalten und liefert Inhalte zu allen Geschäftsbereichen. Der User bewegt sich nun zielstrebig in den Bereich Investor Relations, sieht sich den Kurschart an, liest die neusten Finanznachrichten und lädt den Geschäftsbericht herunter. Jede Aktion wird registriert und dem anonymen (!) Profil des Nutzers zugeordnet. Er wird daher vom System als Investor eingestuft und erhält beim nächsten Aufrufen der Website ein auf ihn zugeschnittenes Informationsangebot.

Entsprechend wird dem User, der als Bewerber identifiziert wurde, eine Homepage ausgespielt, die Stellenangebote und Themen aus dem Bereich Human Resources beinhaltet. In diesem kleinen Beispiel existieren also parallel drei Homepages (allgemein/IR/HR).

Das führt zu einer Win-win-Situation: Die Nutzer werden ihren Interessen entsprechend mit Content versorgt; und die Unternehmen haben ein starkes Werkzeug an der Hand, um Themen schnell bei den richtigen Zielgruppen zu platzieren und die Kommunikation mit deutlich verringerten Streuverlusten effizienter zu gestalten.

Ein Blick in die Glaskugel

Das alles ist keine leise Zukunftsmusik aus weiter Ferne – ganz im Gegenteil: Die Web-Analyse-Tools sind bereits erprobt und haben sich längst im E-Commerce bewährt. Damit können Unternehmen ihren vielen unterschiedlichen Stakeholdern individuelle Informationen zur Verfügung stellen.

Es gibt noch andere Trends im elektronischen Handel, die man für die B2B-Kommunikation im Auge behalten sollte: beispielsweise spezialisierte und zielgruppengenaue Social-Media- und digitale Marketingstrategien, um auch externe User anzusprechen. Und irgendwann könnte die Zeit auch reif sein für Chatbots, die – vergleichbar mit WhatsApp – für das Unternehmen mit den Nutzern kommunizieren. Allerdings dürfte es dann doch noch eine ganze Weile dauern, bis diese kleinen Software-Roboter einen festen Platz in der Unternehmenskommunikation erhalten…

Über den Autor

Michael Zinkl ist Senior Consultant bei der EQS Group und berät Kunden im Bereich digitaler B2B-Kommunikation.

 

 

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