Agile Softwareentwicklung, Projekte, Methoden – sie haben sich in den vergangenen Jahren aus nachvollziehbaren Gründen verbreitet und etabliert. Die Vorteile der unter dem Attribut „agil“ zusammenfassbaren Frameworks, Vorgehensweisen und Praktiken sind anerkannt – gerade in kleineren und mittelständischen Unternehmen. Dazu gehören Flexibilität, Schnelligkeit und Qualitätssteigerung.

Beispiele dafür sind zahlreich: ob Flickr, Netflix, Salesforce, Spotify oder Xing. All dies zeigt: bisher ist Agilität hauptsächlich in mittelständischen Unternehmen in technologienahen Märkten ein Thema. Ein wichtiger Grund, warum agile Verfahren in Großunternehmen und Konzernen bislang nicht die Rolle spielen, obwohl sich so manch eine IT-Abteilung das wünschen würde: Konzerne bewegen sich sehr oft in regulierten Märkten und haben entsprechend andere Ansprüche an Governance. Wollen sich auch Konzerne die Vorzüge der Agilität zunutze machen, empfiehlt es sich, dazu ihre Governance-Denkweise zu modifizieren. Während die agile Entwicklung von Produkten auf Flexibilität und kurze Time-to-Market zielt, ist Stabilität die Zielgröße des Betriebs.

 Agile Governance-ein Widerspruch in sich ?

Patrick Daut - Senior Consultant Cassini
Patrick Daut – Senior Consultant Cassini
Sascha Meyer - Management Consultant Cassini
Sascha Meyer – Management Consultant Cassini

Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass eine für agile Projekte geeignete Governance zwar anders aussieht als eine traditionelle, aber dass sie erstens durchaus möglich und zweitens nicht weniger wirkungsvoll ist. Die Wünsche der IT-Abteilung nach agiler Entwicklung, flexibler Reaktion auf die Anforderungen der Kunden, einer kürzeren Time-to-market lassen sich mit den Kontrollbedürfnissen der Governance-Abteilung durchaus versöhnen. Auch im Konzernumfeld und in regulierten Märkten.

Sollen in einem Konzern agile Verfahren eingesetzt werden, erfordert schon die Größe der Organisation interne Governance-Mechanismen und -prozesse, die sicherstellen, dass IT und Produktentwicklung auf die Unternehmensziele ausgerichtet sind. Zudem machen die zahlreichen Stakeholder, darunter Regierungen und regulatorische Instanzen, Governance nötig. In der Automobilindustrie beispielsweise muss der Prozess der Produktentwicklung von Hard- und Software dem recht strikten Automotive-SPICE genügen, der domänenspezifischen Variante der „Software Process Improvement and Capability Determination“-Norm, also ISO 15504 (SPICE). Bei sicherheitsrelevanten Funktionen und Bauteilen kommen Anforderungen der Functional Safety hinzu. Zulieferer müssen dem Hersteller gegenüber in Audits konsistente und vollständige Prozessdokumentationen nachweisen. Ein agiles Framework wie Scrum, eingesetzt im Projektmanagement, in der internen Entwicklung oder in der Produktentwicklung, bringt aber selbst keine Governance-Mechanismen mit, die den Bedarf im Konzernumfeld decken. Um diesen Erfordernissen gerecht zu werden, sollten die agilen Vorgehensweisen und Prinzipien also in einen Rahmen aus Governance-Mechanismen eingebettet werden.

Governance neu denken

Es reicht dazu, in bestehenden Strukturen neu zu denken. Cobit (Control Objectives for Information and Related Technology) ist hierzu ein seit Jahren etabliertes, weltweit anerkanntes Framework zur IT-Governance. Das Cobit Framework definiert 37 Prozesse, um Kongruenz von IT- und Unternehmenszielen sicherzustellen. Die Domänen, die die Prozesse von Cobit strukturieren, können dazu dienen, die Handlungsfelder aufzuzeigen, die bei einem agilen Vorgehen von der Governance betrachtet und gelöst werden müssen.

Governance: Evaluieren, Vorgeben und Überwachen

Hier geht es darum, Mechanismen zu entwickeln und zu etablieren, die die Kommunikation, Einhaltung und Messung der Unternehmensziele sowie der regulatorischen Vorgaben sicherstellen. Diese Verfahren und die entsprechende Organisation müssen einerseits die Ausrichtung an den Unternehmenszielen garantieren, dürfen andererseits aber die Flexibilität der genutzten agilen Methoden nicht zu stark einschränken. Benötigt wird eine flexible Stabilisierung – kein starres Korsett. Ein Ansatzpunkt dafür können Prinzipien aus dem „Lean“-Konzept liefern

Management: Anpassen, Planen und Organisieren

Abbildung: Neue Aspekte einer agilen Governance
Abbildung: Neue Aspekte einer agilen Governance

Agile Vorgehensmodelle und Frameworks beschreiben die Arbeitsweise für ein Team und dessen Umgang mit Anforderungen, Aufgaben und Arbeitspaketen und beispielsweise deren Priorisierung anhand des Kundennutzens. Im hier betrachteten Kontext wird ein Umgang mit Anforderungen auf einer höheren Ebene nötig: Wie werden ganze Investitions- oder Produktideen – weit größer und gröber als eine feingranulare Anforderung im Sinne einer User Story – initial beschrieben und im Sinne der wirtschaftlichen Relevanz bewertet? Dazu ist ein Verfahren mit den nötigen Rollen zu etablieren, durch das Investitionen gegeneinander gewichtet werden..

 Management: Aufbauen, Beschaffen und Implementieren

Sind Investitionsentscheidungen getroffen worden, dann sind etwa die Konsistenz und Koordination vieler an der Umsetzung beteiligter Parteien sicherzustellen und der weitere Einklang mit den Unternehmenszielen zu gewährleisten. Auf der Planungsebene gilt es, eine passende Abstraktionsebene für Anforderungen zu finden, die allen Beteiligten die Kommunikation erlaubt.

Management: Bereitstellen, Betreiben und Unterstützen

Während die agile Entwicklung von Produkten auf Flexibilität und kurze Time-to-Market zielt, ist Stabilität die Zielgröße des Betriebs. Jüngere Konzepte wie „DevOps“ zeigen auf, dass beides miteinander einhergehen kann. Agile Best Practices und Lean Prinzipen wie die Ausrichtung nach dem Pull-Prinzip, Taktung und iterative Vorgehensweise in kurzen Zyklen unterstützen die Zusammenarbeit zwischen Entwicklung uns Betrieb – bei passender Integration in die agile Governance.

 Management: Überwachen, Evaluieren und Beurteilen

Evaluation ist aus Governance-Gesichtspunkten unabdingbar – wobei es sich um einen kontinuierlichen Prozess handeln muss, nicht um einen einmaligen Audit. Entsprechende Instanzen können eigenständig sein, um einen neutralen Blickwinkel zu bewahren, oder in die agile Arbeitsweise integriert sein. Letzteres sorgt dafür, dass Audits und Reviews kein reiner Selbstzweck sind, sondern Wert beitragen. Den größten Vorteil gewinnt eine Organisation aber nicht durch das Bestehen der Audits, sondern durch das Leben der zugrundeliegenden Kriterien.

Fazit

Die Herausforderung für eine effektive Governance eines agilen Vorgehens ist es, Organisation und Vorgehen nicht durch zahlreiche starre Elemente zu stark zu formalisieren. Auf der Umsetzungsebene bringt das Vorgehen innerhalb von Teams nur wenig Vorteile für Ziele wie kurze Time-to-Market, hohe Flexibilität, Qualität und Kundenorientierung, wenn die höheren Ebenen und Governance-Mechanismen zu wenig Freiheit und Flexibilität zulassen. Entscheidend ist, wirkliche Kongruenz mit Unternehmenszielen und externen Regularien sicherzustellen, statt durch einen festen Prozess lediglich diesen Anschein zu erwecken. Für Governance-Abteilungen wird es darauf ankommen, zu verstehen, dass agile Governance zwar anders ist, aber nicht weniger wirkungsvoll. Im Gegenteil: Die iterative Fertigstellung ist viel konkreter. Die Möglichkeiten zur Kontrolle und Steuerung nehmen dadurch sogar noch zu. Auch Konzerne können die Vorteile nutzen – wenn sie ihre Governance-Denkweise anpassen. Agile Projekte brauchen agile Governance.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.cassini.de

 

 

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